Medizinisches Cannabis
Es gibt viele Missverständnisse rund um medizinisches Cannabis – sowohl bei den "Befürwortern" als auch bei den "Gegnern", in der allgemeinen Öffentlichkeit, aber auch bei vielen Ärzten.
In meinem Medizinstudium (abgeschlossen 2016) haben wir etwa zehn Minuten über Cannabinoid-Rezeptoren gelernt und keine Minute über die eigentliche medikamentöse Anwendung von Cannabinoiden. Der Hauptgrund dafür ist, dass es nur sehr wenige doppelblinde, randomisierte Studien zu Cannabis-Medikamenten gab. Dies liegt wiederum daran, dass Unternehmen Hunderte Millionen Euro investieren müssen, um die Phase I-, II-, III-Studien durchzuführen und das Medikament von der EMA oder FDA zugelassen zu bekommen – und um die Investition wieder hereinzuholen, ist es für Unternehmen besser, wenn sie ein patentiertes Medikament haben und nicht eine Pflanze, die jeder zu Hause anbauen kann. So funktioniert das System.
(Wobei: Es gibt genug Gründe, fast sicher zu sein, dass die ganze Pflanze mit ihren vielen Inhaltsstoffen nützlicher sein kann als eine einzelne extrahierte Substanz, die dann von einem Unternehmen zur Durchführung von Studien genutzt wird.)
Ein weiterer Grund für die negative Einstellung, die wenigen Studien und letztlich das fehlende Wissen, auch unter Ärzten, ist die Rauschwirkung von Cannabis bei hoher Dosierung. Dies machte Studien teuer und schwierig durchführbar aufgrund gesetzlicher Vorgaben und Regulierungen. Fakt ist: Der Rausch wird bei medizinischem Cannabis als Nebenwirkung betrachtet. Ziel ist es, eine Dosierung zu finden, die ausreichend ist, um das Problem (z.B. Schmerzen) zu lindern, jedoch ohne Rauschwirkung. Die allermeisten meiner Patienten, die mit oralen Cannabis-Präparaten behandelt werden, fühlen sich nicht "high" und haben keine belastenden psychoaktiven Nebenwirkungen.
Das deutsche Gesetz erlaubt seit dem Medizinisches Cannabisgesetz 2017 (LINKLINKLINK) die medizinische Anwendung von Cannabis. Laut § 31 Abs. 6 SGB V (LINKLINKLINK) haben Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Cannabis wenn sie an einer "schwerwiegenden Erkrankung" leiden und wenn andere Medikamente nicht wirksam waren, zu vielen Nebenwirkungen hatten oder nicht verfügbar sind.
In den meisten Fällen bedeutet dies, dass z. B. ein typischer Versicherter mit chronischen Schmerzen (LINKLINKLINK) erst eine ganze Liste von Medikamenten durchlaufen muss, bevor ihm die Krankenversicherung Cannabis bezahlt: Ibuprofen, Paracetamol, Novaminsulfon, verschiedene Opioide wie Tilidin, Oxycodon, Hydromorphon, Antiepileptika wie Pregabalin und Gabapentin und vermutlich mehrere Antidepressiva wie Sertralin, Amitriptylin und Duloxetin. Diese Medikamente können hilfreich sein, wenn sie in der richtigen Dosierung, mit der passenden Titration, sowie der nötigen Überwachung und einem aktiven Zuhören der Symptome und Nebenwirkungen eingesetzt werden. Dennoch können die potenziellen Nebenwirkungen dieser Medikamente in einigen Fällen und bei bestimmten Personen weitaus gefährlicher für das Wohlbefinden des Patienten sein als medizinisches Cannabis.
Ich verwende medizinisches Cannabis in meiner Behandlung entsprechend meiner klinischen Erfahrung – nicht nur nach Leitlinien – wo es im Hinblick auf die Evidenz in der Fachliteratur sinnvoll ist und andere medizinische Optionen berücksichtigt werden, um meinem Patienten bestmöglich zu helfen.
Die Behandlung wird in der Regel mit einem Öl begonnen und die Dosis sehr langsam gesteigert, um Nebenwirkungen zu minimieren. Alternative orale Präparate können dann als zweite oder dritte Option eingesetzt werden, um bestimmte Symptome oder Nebenwirkungen besser zu bewältigen. Die Inhalation über die Lunge empfehle ich nur in einer kleinen Minderheit von Fällen. Die Inhalation kann mehr Nebenwirkungen und falsche Anwendungen hervorrufen, während die Behandlung mit Ölen aufgrund der langsameren Aufnahme in den Blutkreislauf und niedrigeren Konzentrationen weniger Nebenwirkungen verursacht und letztendlich oft die bessere Option ist.
Medizinisches Cannabis kann – wenn es richtig angewandt wird – für viele Patienten eine sichere und wirksame Behandlungsoption darstellen. Gerne prüfe ich gemeinsam mit Ihnen, ob diese Behandlungsmöglichkeit für Sie geeignet ist.